Zurück zur Startseite Zum Berufsbild des Rechtspflegers


Zum Verständnis der heutigen Stellung des Rechtspflegers müssen wir etwas zurückgehen zu den Grundlagen unserer Gerichtsverfassung, den Reichsjustizgesetzen, die nach der Gründung des Deutschen Reiches zur Vereinheitlichung der Rechtspflege verabschiedet wurden und 1879 in Kraft getreten sind. Diese Gesetze haben ebenso wie die teilweise erst vor der Jahrhundertwende in Kraft getretenen Verfahrensordnungen für die verschiedenen Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit (d.h. der Verfahren, in denen keine Streitigkeiten zwischen Parteien stattfinden und in denen auch keine strafrechtlichen Verurteilungen angestrebt werden) ohne jede Ausnahme alle gerichtlichen Entscheidungen und Verfügungen dem Richter vorbehalten. Schon bald zeigte sich aber, daß der Richter hierdurch mit einer Vielzahl von Aufgaben belastet war, die nicht unbedingt von ihm erledigt werden mußten.

Am Beginn der Entlastungsmaßnahmen stand die preußische Verwaltungsanordnung aus dem Jahre 1906, mit der dem damaligen "Gerichtsschreiber", dem heutigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, bei zahlreichen einfacheren Geschäften die Fertigung von Entwürfen übertragen und damit seine Stellung als Richtergehilfe geregelt wurde.

Den nächsten, entscheidenden, Schritt brachte die Novellierung der Zivilprozeßordnung von 1909, mit der die Zuständigkeit für Kostenfestsetzung und Erlaß des Vollstreckungsbefehls auf den Gerichtsschreiber übertragen wurde. Hiermit wurden zum ersten Mal vom Richter wahrzunehmende Geschäfte dem Gerichtsschreiber zur eigenständigen Erledigung überwiesen.

Die allgemeine Notlage nach dem ersten Weltkrieg führte zwangsläufig zu weiteren Entlastungsmaßnahmen. Das Reichsentlastungsgesetz von 1921, die sogenannte kleine Justizreform, ermächtigte die Länder, weitere richterliche Geschäfte dem Gerichtsschreiber zur selbständigen Erledigung zu übertragen. Von der darin enthaltenen Ermächtigung machten die einzelnen Länder in unterschiedlichem Umfang Gebrauch.

Richtungsweisend war vor allem die preußische Entlastungsverfügung vom 28.05.1923. In ihr wurden erstmals Beamte, denen richterliche Geschäfte zur selbständigen Wahrnehmung übertragen waren, als "Rechtspfleger" bezeichnet.

Rechtlich gesehen blieb der "Rechtspfleger" allerdings nach wie vor Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. Seine Stellung war reichsrechtlich nur durch die Bestimmungen über die Geschäftsstelle in § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes geregelt.

Schnell erwies sich aber die Übertragung der ehemals vom Richter wahrgenommen Geschäfte auf den Rechtspfleger als gerechtfertigt, denn die damit betrauten Rechtspfleger bewährten sich. Dies war der Anlaß für weitere Bestrebungen, die rechtliche Stellung des Rechtspflegers zu festigen.

Im Jahre 1941 erschien dann eine für das ganze Reichsgebiet geltende Ausbildungsordnung für die Rechtspfleger, in der die Voraussetzungen für eine Vereinheitlichung der Entlastung der Richter durch die Rechtspfleger geschaffen wurde. Die Reichsentlastungsverfügung von 1943 ersetzte schließlich die unübersichtlich gewordenen Entlastungsvorschriften der einzelnen Länder durch ein einheitliches Recht. Auch nach der Rückverlagerung der Justizhoheit auf die Länder nach dem Ende des zweiten Weltkrieges galt diese Entlastungsverfügung bis zum Inkrafttreten des Rechtspflegergesetzes weiter.

Durch eben dieses Rechtspflegergesetz aus dem Jahre 1957 wurden dem Rechtspfleger zahlreiche Rechtsgebiete ganz oder mit wenigen Richtervorbehalten übertragen, ferner viele Einzelgeschäfte auf anderen Gebieten. Die Bedeutung des Rechtspflegergesetzes liegt vor allem darin, daß die gerichtsverfassungsmäßige Stellung des Rechtspflegers gesetzlich festgelegt und in Anlehnung an die entsprechenden Vorschriften für den Richter normiert wurde.

Langwierige Beratungen in der Kommission zur Reform des Gerichtsverfassungsrechts und des Rechtspflegerrechts führten schließlich zum neuen Rechtspflegergesetz, das am 01. Juli 1970 in Kraft trat. Es regelt in den fünf Abschnitten Aufgaben und Stellung des Rechtspflegers, die Richtervorbehalte auf bestimmten Rechtsgebieten, die Übertragung von Teilgebieten aus dem Aufgabenkreis des Richters sowie das Verhältnis zu anderen Organen der Rechtspflege. Dieses Gesetz hat zunächst die Aufgabenbereiche des Rechtspflegers wesentlich erweitert, ohne allerdings seine gerichtsverfassungsrechtliche Stellung weiter zu entwickeln.

Seit 1970 ist der Rechtspfleger in den Bereichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie auch in vielen anderen Rechtsgebieten mit der Wahrnehmung verantwortungsvoller Aufgaben betraut. Durch die Übertragung fester Aufgabenbereiche ist er ein selbständiges Organ der Rechtspflege. In den ihm nach dem Rechtspflegergesetz übertragenen Angelegenheiten ist er bei seinen Entscheidungen nur dem Gesetz unterworfen und grundsätzlich sachlich unabhängig.

Seine sachliche Unabhängigkeit ist zuletzt mit Inkraftreten der dritten Änderung des Gesetzes zum 1. Oktober 1998 deutlich erweitert worden.

Bisher war dem Rechtspfleger eine eigenständige Entscheidung ohne Aktenvorlage an den für seinen Aufgabenbereich zuständigen Richter vewehrt, soweit er bei der Bearbeitung von einer ihm bekannten Stellungnahme des Richters abweichen wollte, rechtliche Schwierigkeiten hatte oder ausländische Gesetze anwenden mußte. Nach der Änderung kann der Rechtspfleger ohne diese Einschränkungen entscheiden.

Außerdem gab es gegen seine Entscheidungen den speziellen Rechtsbehelf der Erinnerung, über die der zuständige Richter desselben Gerichts zu entscheiden hatte, so daß die Entscheidungen des Rechtspflegers innerhalb der Instanz überprüft und abgeändert werden konnten.

Nunmehr sind die Entscheidungen des Rechtspflegers grundsätzlich mit dem Rechtsmittel anfechtbar, das auch gegen die Entscheidung des Richters gegeben wäre, so daß nunmehr das Gericht nächster Instanz unmittelbar die Rechtspflegerentscheidung überprüft.

Das "alte" Erinnerungsverfahren gibt es nur noch bei Entscheidungen, die als Richterentscheidungen unanfechtbar wären sowie uneingeschränkt im Verfahren vor den Patentgerichten.

Schließlich war es nach dem bisherigen Rechtspflegergesetz Richtern in bestimmten Einzelfällen gestattet, Rechtspfleger mit der Anfertigung von Entscheidungsentwürfen zu beauftragen. Auch dies ist nach der letzten Reform nicht mehr möglich.

Insofern ist die Stellung des Rechtspflegers der des Richters vergleichbar. Er erledigt die ihm übertragenen Aufgaben frei von Weisungen Dienstvorgesetzter nach den bestehenden Verfahrensordnungen und Gesetzen in eigener Verantwortung. Er entscheidet als das zuständige Gericht, ihm fehlt jedoch im Vergleich zum Richter die persönliche Unabhängigkeit, d.h. er kann von einem Aufgabengebiet in ein anderes versetzt werden.

Die dem Rechtspfleger eingeräumte sachliche Unabhängigkeit gibt seinem Beruf ein besonderes Gepräge. Heute erstreckt sich seine Tätigkeit auf sämtliche Rechtsgebiete der streitigen und freiwilligen Gerichtsbarkeit.

In Grundbuchsachen entscheidet der Rechtspfleger u.a. über Anträge auf Eintragung von Hypotheken, Grundschulden, Dienstbarkeiten und anderer Belastungen in das Grundbuch sowie über die Eintragung eines neuen Grundstückseigentümers oder die Begründung von Wohnungseigentum.

Bei der zwangsweisen Versteigerung von Grundstücken, Erbbaurechten und von Wohnungseigentum führt er selbständig das Verfahren durch.

Ähnlich weitgehend ist seine Tätigkeit bei der Führung der Handelsregister, Genossenschaftsregister und der Vereins- und Güterrechtsregister.

Auch im Familien- und Vormundschaftsrecht hat er weitgehende Befugnisse. Selbständig entscheidet er in einem vereinfachten Verfahren über Anträge auf Festsetzung des für ein Kind zu leistenden Unterhalts. Er verpflichtet u.a. Vormünder und Pfleger, führt diese in ihr Aufgabengebiet ein und gibt ihnen wichtige Rechtsbelehrungen über ihre Rechte und Pflichten. Er überwacht deren Geschäftsführung und Vermögensverwaltung. Sofern der Vormund oder Pfleger zu einzelnen Rechtsgeschäften der gerichtlichen Genehmigung bedarf, ist auch hier in der Regel der Rechtspfleger zuständig. Auch die Überwachung der Tätigkeit der Betreuer und die Erteilung gerichtlicher Genehmigungen für sie obliegt weitestgehend ihm.

Als Nachlaßrechtspfleger eröffnet er Testamente, verkündet den Erben den letzten Willen des Verstorbenen und erteilt Erbscheine, wenn keine letztwillige Verfügung vorliegt.

In Strafsachen ordnet der Rechtspfleger die Vollstreckung der Strafen an und kann hierbei Haftbefehle erlassen.

In der Rechtsantragsstelle erörtert der Rechtspfleger mit den Rechtsuchenden die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse und nimmt schwierige Klageanträge, Klageerwiderungen sowie andere Schriftsätze auf, wobei er das Vorbringen der Rechtsuchenden prüft und in die der Sach- und Rechtslage entsprechende Form kleidet. Sozial bedürftigen Personen bewilligt er Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt.

Als Leiter einer Hinterlegungsstelle hat der Rechtspfleger die Entscheidung über die Annahme und Herausgabe von Hinterlegungen zu treffen.

Nach Beendigung der Prozesse obliegt dem Rechtspfleger die Festsetzung der einer Prozeßpartei gegen den unterlegenen Gegner zustehenden Verfahrenskosten.

Der Rechtspfleger erläßt Beschlüsse auf Pfändung von Geldforderungen, auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung und trifft als Vollstreckungsgericht weitere Entscheidungen in der Zwangsvollstreckung.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt der Rechtspfleger selbständig das Verfahren durch. Dabei ergreift er alle ihm notwendig erscheinenden Maßnahmen und führt die gerichtliche Aufsicht über den Konkurs-, Vergleichs- oder Insolvenzverwalter.

Neben der eigentlichen Rechtspflegertätigkeit nehmen Beamte des gehobenen Justizdienstes oftmals herausgehobene Funktionen in der Justizverwaltung dar. So arbeiten sie z.B. als Geschäftsleiter, als Personalreferenten, als Sachgebietsleiter oder Bezirksrevisoren. Dies gilt nicht nur für die sogenannte ordentliche Gerichtsbarkeit, d.h. die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, sondern auch für die Verwaltungs-, Sozial-, Patent- und Arbeitsgerichtsbarkeit.

Alle diese Aufgaben kann der Rechtspfleger nur bewältigen, wenn er nach seiner Persönlichkeit und seinen allgemeinen fachlichen Kenntnissen befähigt ist, selbständig Lebenssachverhalte zu erfassen, zu klären und zu ordnen, wirtschaftliche, soziale und rechtspolitische Zusammenhänge zu verstehen, Verfahren gesetzmäßig und mit praktischem Geschick zu betreiben, Rechtsfragen zu erkennen und zu lösen, sachgerechte Entscheidungen zu treffen und sie allgemein verständlich zu begründen.

Dabei hat er auch grundsätzliche Entscheidungen der höchsten Gerichte, sowie grundlegende Ausführungen der Rechtslehre und des juristischen Schrifttums zu berücksichtigen.

Die Aufgabe des Rechtspflegers, in sachlicher Unabhängigkeit zu entscheiden, verlangt Entschlußfähigkeit und fachliche Souveränität sowie die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und den Rechtsuchenden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu helfen.

Im Vergleich zu seinen europäischen Berufskollegen ist die Freiheit des deutschen Rechtspflegers, eigenständig und sachlich unabhängig zu entscheiden, einzigartig. Wir kennen zwar in der Schweiz den Gerichtsschreiber, in England den Master und Registrator, in Belgien, Frankreich und den Niederlanden den Greffier, die ähnliche Tätigkeiten wahrnehmen, sie wirken aber weitgehend ohne eigene Entscheidungszuständigkeit nur vorbereitend bei Entscheidungen des Richters mit. Der Rechtspfleger in Österreich ist in seiner Entscheidung unabhängig, aber an Weisungen des Richters gebunden.

Derzeit werden in Portugal, den baltischen Staaten und teilweise auch in Polen und Tschechien Gerichtsverfassungen aufgebaut, in denen die Gerichtsschreiber ähnliche Sachkompetenzen wie die deutschen Rechtspfleger erhalten sollen bzw. bereits erhalten haben.

In Estland ist seit Juni 1996 durch Ergänzung des Richtergesetzes der "Rechtspfleger" als Organ der Rechtspflege eingeführt.

Ihm obliegen in Grundbuchsachen, in Handels- und Registersachen und beim Nachlaßgericht ähnliche Aufgaben und Befugnisse wie seinen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland.

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